Seit 50 Jahren Werke von Inge Hagner und Johannes Schreiter
Sie ist ein Ort der Stille und des Abschiednehmens – und der Kunst: In der Trauerhalle auf dem Langener Friedhof spiegelt sich die Ästhetik der 1960er Jahre in zeitloser Qualität. Die Künstlerin Inge Hagner und der Künstler Professor Johannes Schreiter haben dem Gebäude einen Stempel aufgedrückt, der es einmalig macht. Inge Hagner hat das zweiflüglige Eingangsportal als Kupferrelief gestaltet, Johannes Schreiter die rückseitige Glaswand als trostspendendes Bild. Die Kommunalen Betriebe Langen (KBL), für den Friedhof zuständig, wollen die beiden Werke stärker ins Licht der Öffentlichkeit rücken und werden demnächst über sie Informationstafeln aufstellen. „50 Jahre nach Baubeginn ist es an der Zeit, die Besonderheit der Halle hervorzuheben und sie über ihre eigentliche Funktion hinaus auch als Ziel von Kunstliebhabern einzuordnen“, betont KBL-Betriebsleiter Manfred Pusdrowski.
„Wege zum Licht“, nennt Professor Schreiter sein Glasbild aus seiner Fazit-Reihe, das er in seiner Zeit als Professor an der Städelschule in Frankfurt entwarf. Es bestimmt die Atmosphäre in der Trauerhalle maßgeblich mit und zieht die Besucher in seinen Bann, allein
schon durch seine Monumentalität. Es misst in der Breite 11,5 und in der Höhe 6,7 Meter und bildet damit die gesamte Rückwand. Eindringendes Licht lässt es ständig in neuen Nuancen erscheinen. Typisch für Schreiter sind Linien und Linienbündel. Sie verlaufen als „lyrische Diagonale“ von links unten nach rechts oben und können so gedeutet werden, dass es kein Ende gibt, sondern weitergeht – auch nach dem Tod. Bei den farbigen Elementen hat Schreiter auf Lila zurückgegriffen. „Eine Farbe, die beruhigt“, sagt der Künstler. Gegliedert wird das Bild durch Bleirouten und Stützpfeiler, die durch die Architektur vorgegeben sind.
Johannes Schreiter, 86 Jahre alt, zählt zu den bedeutendsten zeitgenössischen Glasbildnern, ist ein Künstler von internationalem Rang. Exponate von ihm finden sich in mehr als 100 Museen des In- und Auslands. Darüber hinaus hat er viele Sakral- und Profanbauten verglast, beispielsweise den Frankfurter Dom, das Ulmer Münster, die Marienkirche in Lübeck und den Mainzer Dom. Sein Renommee verdankt er sowohl einer ganz unverwechselbaren, eigenständigen Bildsprache als auch seiner besonderen Sensibilität im Umgang mit (historischer) Architektur. Bei seinen Arbeiten geht es dem gläubigen Christen prinzipiell weniger um das Glas als Material, als vielmehr um die immaterielle Qualität des Lichts: „Die Herausforderung des Mediums Glas besteht für mich darin, hier mit einem Material arbeiten zu können, das eben nicht mehr als Materie in Erscheinung treten muss. Ergo bin ich mit der Hervorbringung von Lichtgestalten befasst: Mein Stoff ist sozusagen die Stofflosigkeit.“
Im Zuge der Sanierung der Neuen Stadthalle richtete die Stiftung dort den Ausstellungsbereich Glas/Werke/Langen ein, der eine einzigartige Werkschau von Johannes Schreiters Kunst präsentiert. Überdies wurden Glasbilder in die Architektur der Neuen Stadthalle eingefügt und ziehen die Blicke der Besucher auf sich.
Zurück zum Friedhof: Wer auf dem Weg zur Trauerhalle ist, kommt am Bronzeportal von Inge Hagner nicht vorbei. Die zwei monumentalen Flügel geben dem Gebäude ein Gesicht. Mit ihrer kraftvollen Ausstrahlung machen sie deutlich, dass sich hinter ihnen ein Ort befindet, der nur zu ganz besonderen Anlässen betreten wird: vor allem, wenn jemand gestorben ist und sich die Trauergemeinde zum Gedenken und zum Erinnern versammelt und seine Wege nachzeichnet – die „Labyrinthe des Lebens“, wie die Künstlern ihr Werk genannt hat. Sie hat in den sechziger Jahren einen Wettbewerb zur Gestaltung der Eingangstür gewonnen und sich dann an die Arbeit gemacht, in große Kupferplatten Wölbungen zu treiben. Damit war sie ein Jahr lang beschäftigt.
Seit Anfang der sechziger Jahre lebt Schreiter in Langen, ein Glücksfall für die Stadt. Bekannt wurde er hier in den 80er Jahren durch das Museum für Zeitgenössische Glasmalerei im Alten Rathaus und durch seine Glasfenster an öffentlichen Orten wie eben in der Trauerhalle des Friedhofs, im Foyer der Stadtwerke, in der St.-Albertus-Magnus-Kirche und in der Stadtkirche. Dort kamen erst vor kurzem fünf weitere hinzu.
Mit Unterstützung ihres prominenten Einwohners, der längst zum Ehrenbürger ernannt wurde, gelang es der Stadt im Laufe der vergangenen Jahrzehnte eine qualitativ hochwertige Sammlung von Werken der zeitgenössischen Glasmalerei zusammenzutragen, die neben repräsentativen Arbeiten Schreiters auch solche seiner Schüler und anderer bedeutender Glasmaler enthält. Die Verbundenheit des Künstlers mit Langen kommt vor allem auch in einer Stiftung zum Ausdruck, in die er und seine verstorbene Ehefrau Edith Schreiter-Diedrichs im Jahr 2000 einen großen Teil ihres privaten Vermögens eingebracht haben und die sich der Kunst und der Kunstwissenschaft verpflichtet, ebenso der Pflege und Erhaltung von Kulturwerten auf dem Gebiet der Glasmalerei. Träger und Treuhänder ist die Stadt.
Inge Hagner wurde in Frankfurt geboren, wo sie auch heute wohnt, ist Bildhauerin und Goldschmiedin. Sie ging auf die Werkkunstschule in Offenbach (heute Hochschule für Gestaltung) und die Hanauer Zeichenakademie. Von 1946 bis 1979 hat sie in Langen gelebt. Hier hinterließ sie über den Friedhof hinaus weitere Spuren, die inzwischen allerdings weggewischt wurden, wie sie bedauert. So jeweils eine figurative Brunnenplastik aus Kupfer für den Hof der Albert-Schweizer-Schule und einen Betonbrunnen für die Albert-Einstein-Schule. Beide sind nur noch in Katalogen über ihre Kunst sichtbar.
Anlässlich ihres 80. Geburtstags, den sie im September feierte, zeigte das Kulturamt der Stadt Frankfurt einen retrospektiven Querschnitt ihres Gesamtwerkes aus über sechs Jahrzehnten. Schätzungsweise gibt es mehr als 30 Werke, die Inge Hagner für die Rhein-Main-Region geschaffen hat. Zu den bekanntesten zählen ihre begehbare Brunnenanlage auf der Freßgass‘ und eine künstlerisch gestaltete Trennwand und ein Kupferfries in der Jahrhunderthalle Höchst. Im Bürgerhaus in Dreieich-Sprendlingen stammt ein Wandrelief aus Rotlava von ihr und auf dem Europaplatz in Dietzenbach die Plastik „Vier Fraktionen“.
Das Werk von Inge Hagner überrascht nicht nur mit der Vielfalt an künstlerischen Ausdrucksmitteln, sondern auch durch die Bandbreite ihres Tätigkeitsbereichs. Skulpturen, Schmuckstücke, Brunnenanlagen, Kunst-am-Bau-Projekte, Möbel, Gemälde und Zeichnungen zählen dazu. Mal verwendet sie rote Lava, mal Travertin, dann Kupfer, Beton und Granit oder Edelstahl, roten Sandstein und selbst Porzellan. In ihren Plastiken möchte sie die psychische Beschaffenheit des menschlichen Wesens darstellen. Sie versucht, den Menschen mit seinen Zwängen, aber auch sein Verlangen nach Willensfreiheit, Toleranz, Akzeptanz und innerer Ruhe zu veranschaulichen. In einigen Arbeiten nimmt sie direkten Bezug auf Zeitgeschehnisse.
Ihr Liebling sei zweifelsohne die Skulptur der Jazzlegende Albert Mangelsdorff, schreibt Susanne Kujer, Leiterin des Fachbereichs Bildende Kunst im Kulturamt der Stadt Frankfurt, im Katalog zur Ausstellung „Ich – Inge Hagner. Retrospektive“. Der Jazz gehöre bis heute zu ihrem Leben. „Es muss swingen. Ich habe immer versucht, die Jazz-Musik in meinen Gestalten mit umzusetzen“, zitiert sie die Künstlerin.
Dem Kraftaufwand, den es wie bei der Eingangstür zur Langener Trauerhalle erfordert, Kupferplatten mit Gummi-, Eisen- und Kugelhammer zu bearbeiten, kann sich Inge Hagner heute nicht mehr stellen. Sie arbeitet mit Gips, es entstehen Köpfe und Figuren, die sie gerne auch bemalt.
Auf Einladung der Kommunalen Betriebe kam es dieser Tage in der Langener Trauerhalle zu einem Treffen von Inge Hagner und Professor Johannes Schreiter. Sie sprachen miteinander über ihre dortigen Werke und im Mittelpunkt stand dabei deren positive Ausstrahlung und Zeitlosigkeit. Inge Hagner hat im Übrigen auf dem Friedhof noch an anderer Stelle etwas geschaffen: den Grabstein für ihre Eltern, der in seiner Formgebung unverkennbar an den Frankfurter Freßgass‘-Brunnen erinnert.